Das Wort ist gefallen, schwer und endgültig: „Verrat“. Es ist nicht mehr nur die Feststellung kluger Experten wie Françoise Thom, Dominique Moïsi oder Pierre Servent; es ist eine Sorge, die nun bis in die höchsten Staatsspitzen dringt, von Emmanuel Macron im Gespräch mit Wolodymyr Selenskyj bis zu Bundeskanzler Friedrich Merz, dessen Bestürzung der Spiegel berichtet. Um jedoch die symbolische Gewalt dieses Augenblicks zu erfassen, muss man General Michel Yakovleff zuhören.


Er beschreibt den US-Gesandten Steve Witkoff, der gezwungen war, Wache zu schieben, bevor er im Kreml empfangen wurde, und fasst die Situation mit diesem schrecklichen Satz zusammen, den er Wladimir Putin in den Mund legt: „Also, bringen Sie mir Kopf, Ohren und Schwanz?“ Eine grausame Stierkampfmetapher, die bedeutet, dass es unterhalb einer vollständigen Tötung der Ukraine und einer totalen Unterwerfung nichts zu besprechen gibt. Diese Ahnung einer als Diplomatie getarnten Kapitulation bestätigt sich leider kalt bei der Lektüre der offiziellen Texte.
Zum Glück gibt es die amerikanische Presse, die eine riesige politische Lücke jenseits des Atlantiks füllt. Aber worauf wartet der Kongress, um das Ende der Pause einzuläuten? Die Senatoren können doch nicht seit Monaten behaupten, dass sie nicht sehen, was Woche für Woche mit Akteuren geschieht, die alles andere als Diener eines Rechtsstaates sind? Ohne sich vorzustellen, dass diese Dekonstruktion der Atlantischen Allianz in erster Linie dem Kreml und nicht „America First“ dient.
Inhaltsverzeichnis
von Joël-François Dumont — Paris, den 7.Dezember 2025
Einleitung: Der semantische und strategische Bruch
Die erste Dezemberwoche 2025 wird zweifellos als der Wendepunkt in Erinnerung bleiben, an dem die US-Außenpolitik aufhörte, lediglich „isolationistisch“ zu sein, und sich ideologisch den Thesen des Kremls anglich. Wie die von European Security veröffentlichte frühe Analyse vorwegnahm,[1] offenbaren zwei wichtige Dokumente – der nach Moskau gebrachte Friedensplan und die neue Nationale Sicherheitsstrategie – eine beispiellose Kontaminierung der amerikanischen Doktrin durch russische Sprachregelungen und Interessen.

I. Der „Witkoff-Plan“ (2. Dezember): Eine getarnte Kapitulation
Der Besuch des Sondergesandten Steve Witkoff in Moskau hat den Schleier über die Realität der „Verhandlungen“ gelüftet. Weit entfernt von einem klassischen amerikanischen Vorschlag scheint der vorgelegte Text von den durch Russland geschaffenen Tatsachen vor Ort diktiert worden zu sein, was die Hypothese einer von Moskaus Wünschen beeinflussten Redaktion bestätigt.

- Bestätigung der Eroberungen: Der Plan erkennt de facto die russische Kontrolle über fast 20 % des ukrainischen Territoriums an und verlangt, dass Kiew formell auf jeglichen NATO-Beitritt verzichtet..[2]
- Diplomatische Choreographie: Der Kreml-Berater Juri Uschakow bestätigte, dass bereits vor der Ankunft des Gesandten eine „vorläufige Einigung“ bestand, was darauf hindeutet, dass der Besuch nur eine Formalität war, um bereits gewährte Zugeständnisse zu beurkunden..[2][3]
II. Die Nationale Sicherheitsstrategie (5. Dezember): Russische „Soft Power“
Noch besorgniserregender als der Friedensplan markiert das am 5. Dezember veröffentlichte Doktrindokument (NSS 2025) einen anthropologischen Bruch. Es geht nicht mehr um Realpolitik, sondern um einen zivilisatorischen Wandel.
- Übernahme der Kreml-Rhetorik: Das offizielle Dokument verwendet den Begriff „zivilisatorische Auslöschung“ (civilizational erasure), um die Migrationsbedrohung zu beschreiben, die auf dem Westen lastet.[1] Dieses Vokabular ist eine direkte Entlehnung von russischen Ideologen, die seit Jahren ein „dekadentes“ und überflutetes Europa beschreiben und so die Notwendigkeit starker und geschlossener Regime rechtfertigen.[4]
- Das „Trump-Korollar“: Der Text macht den amerikanischen Rückzug auf die westliche Hemisphäre und die Schließung der Grenzen offiziell und besiegelt das Ende der Rolle als „Atlas“, der die liberale internationale Ordnung stützt.[4][5]
III. Das Entsetzen der internationalen Presse
Die großen Weltzeitungen bestätigen heute die anfängliche Analyse: Es gibt eine beunruhigende Konvergenz zwischen den beiden Hauptstädten.
- Der europäische Schock: Die Financial Times beschreibt die Lektüre der neuen Doktrin als einen „schmerzhaften Realitätscheck“ für die europäischen Verbündeten, die entdecken, dass Washington ihre offenen Gesellschaften nun als Gegenmodelle betrachtet.[5]
- Das Ende der gemeinsamen Werte: Die New York Times unterstreicht, dass die US-Administration die nationale Sicherheit nicht mehr über die Verteidigung der Demokratie definiert, sondern über die Bewahrung einer belagerten kulturellen Identität, und sich damit der von Wladimir Putin propagierten Weltanschauung anschließt.[4]
Fazit
Die Gleichzeitigkeit dieser beiden Texte (der militärische Plan und die politische Doktrin) bestätigt, dass wir nicht Zeugen einer einfachen diplomatischen Pause sind, sondern einer fundamentalen Revision. Durch die Übernahme der Konzepte von „Kulturkampf“ und „Einflusszonen“ bietet Washington Moskau einen Sieg, der wertvoller ist als jeder Gebietsgewinn: einen ideologischen Sieg.
Joël-François Dumont
Quellen:
[1] European Security. (2025-1207) — La nouvelle stratégie de sécurité nationale des États-Unis.
[2] Reuters. (2025-1205) — Trump envoy Witkoff meets Putin as Ukraine peace plan details emerge.
[3] Associated Press (AP News). (2025-1206) — Kremlin says leaks about Ukraine peace talks are aimed at hindering negotiations. AP News.
[4] The New York Times. (2025-1205) — New Security Strategy Marks Sharp Break From Postwar Era.
[5] The Financial Times. (2025-1206) — Europe faces painful reality check with new US doctrine.
Siehe auch:
- « L’ombre du Kremlin sur Washington » — (2025-1007)
- « The Kremlin’s Shadow Over Washington D.C. » — (2025-1007)
- « Der Schatten des Kremls über Washington » — (2025-1007)
- « Тінь Кремля над Вашингтоном » — (2025-1007)
Hintergrundanalyse: Die Stunde der Wahrheit
Die Illusion hat sich aufgelöst und einer eiskalten Realität Platz gemacht: Washington hat nicht nur seinen Regenschirm geschlossen, es hat seine Software geändert, um die Semantik des Gegners zu übernehmen. Wenn morgen in London die Unterstützer der Ukraine zusammenkommen, wird die Atmosphäre schwer von dieser schrecklichen Feststellung sein. In den gedämpften Korridoren der Diplomatie wird das Wort „Verrat“, das unter Verbündeten gewöhnlich tabu ist, in aller Munde sein, denn es ist das einzige, das dem stattfindenden im Stich lassen gerecht wird.
Doch die Zeit der Klagen ist vorbei. Wenn Europa nicht als zerstückelter Vasall oder Fußnote der russischen Geschichte enden will, müssen seine Führer zwingend aus der Verleugnung heraustreten. Sie haben die moralische, fast heilige Pflicht, ihren öffentlichen Meinungen keine Beruhigungsmittel mehr zu verabreichen und ihnen endlich die nackte Wahrheit zu sagen: Wir sind nun strategische Waisen, allein gegenüber einem raubtierhaften Imperium. Die amerikanische Maske ist gefallen; es bleibt nun abzuwarten, ob unsere gewählten Vertreter den Mut haben werden, der Medusa ins Gesicht zu schauen, bevor sie uns versteinert, oder ob sie weiter schlafwandelnd auf den Abgrund zugehen werden.
