Der Narr, der Zar und die Händler im Tempel

„Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich“, sagte Mark Twain. Doch in diesen unruhigen Zeiten, in denen die Mittelmäßigkeit über die Größe zu triumphieren scheint, in denen Fakten vor Meinungen verblassen und Politik zu einem Jahrmarktspektakel verkommt, wird dieses Reimen zu einem Alarmruf.

Die Serie „Die Stimmen der Dämmerung“ hat eine einfache, aber zwingende Berufung: die Riesen von gestern zu rufen, um über die Zwerge von heute zu richten. Warum sie? Weil der Tod sie von Angst, Ehrgeiz und Schmeichelei befreit hat. Machiavelli, Montesquieu und andere Schutzgeister kehren hierher zurück, nicht um unsere Nächte heimzusuchen, sondern um unseren Nebel zu lichten. Sie richten ihren säkularen, unbarmherzigen und luziden Blick auf unsere heutigen Herrscher. Was sie sehen, ist nicht nur beschämend; es ist eine Warnung. Durch ihre wiederauferstandenen Worte versuchen wir, den Sinn für den Staat, die Virtù und das Gesetz wiederzufinden, bevor die Nacht gänzlich über unsere müden Demokratien hereinbricht.

Ein Brief von Niccolò Machiavelli an seinen Freund Tobias — Sant’Andrea, Percusina, den 5.Dezember 2025.

Mein lieber Tobias,

Du bittest mich in Deinem letzten Schreiben, das mich hier, in meinem Exil fern vom Lärm der Stadt, erreicht hat, meinen Blick als ehemaliger florentinischer Sekretär auf die Angelegenheiten dieser neuen Welt zu werfen, dort drüben, weit im Westen. Du möchtest wissen, ob meine alten Theorien über die Macht angesichts dieses Spektakels noch Bestand haben. Ach, mein Freund, sie haben nur allzu sehr Bestand, aber das Bild ist düsterer als alles, was ich mir vorgestellt hatte.

Man hat mich oft beschuldigt, der Meister des Zynismus zu sein, die Kunst der List und der notwendigen Grausamkeit zu lehren. Aber diejenigen, die mich lesen, wissen, dass ich nur eine Sache verehre: die Virtù — jene Fähigkeit des Herrschers, das Schicksal (Fortuna) zu zähmen, den Staat zu erhalten und die Welt so zu sehen, wie sie ist, und nicht, wie man sie sich wünscht.

Heute blicke ich nach Westen, auf dieses neue Rom, und ich sehe keine Virtù. Ich sehe nur einen tragischen Schwank.

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Machiavelli entdeckt entsetzt die Höhle des Narren in Mar à Lago — Illustration IA © European-Security

Ich sehe einen Mann, der vorgibt, ein Fürst zu sein, der aber nur ein Schauspiel ist, ein narzisstischer Narr, der den Palast der Macht in einen chaotischen Jahrmarkt verwandelt hat.

Über die Leere des Fürsten

Ein Fürst muss gefürchtet oder geliebt werden, aber er darf niemals, unter keinen Umständen, verachtet werden. Doch dieser Mann flößt jedem, der auch nur einen Funken Verstand besitzt,

Verachtung ein. Er spricht, so sagt man, wie der Dorftrottel. Er wiederholt unermüdlich zehn hohle Phrasen, wie magische Beschwörungsformeln, um den Pöbel zu verhexen. „Ich bin es nicht, der andere ist schuld“, „Biden“, „Hexenjagd“. Welche geistige Armut! Cesare Borgia hat sich nie entschuldigt; er handelte. Dieser Donald Trump ist ein trotziges Kind, das glaubt, wenn es das Spielzeug zerbricht, gehört ihm das Haus. Er will reinen Tisch machen, sagen Sie? Nein, er will einfach nur die Trümmer verkaufen. Er hat keine Vision, keinen Entwurf für den Staat. Sein einziger Horizont ist der Spiegel, in dem er sich bewundert, und die Truhe, in der er sein Gold hortet.

Ein Hofstaat aus „Stümpern“ und Geschäftemachern

Man beurteilt die Klugheit eines Fürsten nach der Qualität der Männer, die ihn umgeben. Schauen Sie sich sein Gefolge an! Das ist kein Kriegsrat, das ist das Hinterzimmer zwielichtiger Pfandleiher. Da ist dieser Schwiegersohn, Jared Kushner, Engelsgesicht und die Seele einer Registrierkasse, ein halb-mafiöser Geschäftemacher, der Diplomatie und Immobilienhandel vermischt, wie man Wasser mit gepanschtem Wein mischt. Und was ist mit diesem Steve Witkoff? Zum Diplomaten ernannt? Das ist, als würde man McDonald’s mit der hohen Gastronomie betrauen. Diese Leute sind keine Diener des Staates; sie sind Parasiten. Sie ignorieren die Gesetze nicht aus revolutionärer Kühnheit, sondern aus krasser Dummheit. Sie denken, der Staat sei ein Familienunternehmen, dessen Vermögenswerte man liquidieren kann, bevor man Konkurs anmeldet. Welch verhängnisvoller Irrtum! Der Staat geht nicht bankrott; er stürzt über den Köpfen derer zusammen, die ihn geplündert haben.

Die Marionette und der Meister

Aber das Beschämendste für einen politischen Beobachter ist es, diesen Pappkameraden von einem Fürsten dem wahren „Fürsten“ des Ostens gegenüberstehen zu sehen. Wladimir Putin hat meine Bücher gelesen. Er ist kalt, unerschütterlich. Er besitzt jene dunkle Virtù der effektiven Tyrannen. Er sieht zu, wie Trump zappelt, gestikuliert und schreit, und er lächelt kaum. Er muss keinen Krieg führen; er muss nur die Fäden ziehen. Trump ist kein Verbündeter Russlands; er ist sein Spielzeug. Das ist der Gipfel der Schande für eine mächtige Nation: von einem Mann geführt zu werden, der sich für einen Löwen hält, während er nur der Affe eines anderen ist. Er zerstört Allianzen, beleidigt Freunde und wirft sich vor denen in den Staub, die ihm schmeicheln. Er hat die goldene Regel vergessen: Der Schmeichler ist der tödlichste Feind des Fürsten. Und Trump ist in seiner bodenlosen Eitelkeit das willige Opfer jeder Schmeichelei.

Das Urteil

Kurzum, dieser Mann und seine Bande von „Stümpern“ sind der Beweis, dass die Fortuna manchmal grausam ist: Sie gibt die Macht denen, die am wenigsten fähig sind, sie auszuüben. Sie glauben, die Welt zu lenken, aber sie beschleunigen nur ihren eigenen Fall. Im Nebel der Mittelmäßigkeit, den sie erzeugen, halten sie sich für Riesen. Die Geschichte jedoch wird sich an sie nur als den Lärm und die Wut einer grotesken Pause erinnern, bevor hoffentlich die Staatsräson zurückkehrt.

Denn merke Dir eines, Tobias: Weinen wir nicht zu sehr über das Schicksal dieser Nation. Ein Volk, das solche Figuren an seiner Spitze duldet und das laute Spektakel der Dummheit dem Anspruch auf Freiheit vorzieht, ist kein Opfer; es ist ein Komplize. Es wird letztlich nur den Tyrannen haben, den seine eigene Apathie verdient.

Dein Diener und Freund,

Niccolò M. (© European-Security)

Dans la série : Les voix du crépuscule

Hintergrundanalyse: Jenseits der Farce

Die Privatisierung des Staates als höchstes Stadium der Dummheit. Was Machiavelli mit beißender Ironie aufzeigt, geht über die einfache Karikatur eines inkompetenten Trump hinaus. Die wahre Gefahr, die unser Florentiner erkennt, ist die Verwandlung der Republik in eine „Cosa Nostra“. Indem er sich ausschließlich mit Familienmitgliedern (Kushner) und Golf- oder Geschäftspartnern (Witkoff) umgibt, betreibt Donald Trump nicht nur Vetternwirtschaft: Er verändert das Wesen der Macht selbst.

  1. Das Ende des Politischen: Für Machiavelli ist Politik eine hohe Kunst. Für die Trump-Clique ist sie eine Transaktion. Alles steht zum Verkauf, alles ist käuflich, von militärischen Allianzen bis zu Staatsgeheimnissen. Jared Kushner hat keine geopolitische Vision, er hat einen „Businessplan“. Witkoff verhandelt keine Verträge, er sucht nach „Return on Investment“. Das ist die Diplomatie der Ladenkasse.
  2. Systemische Verwundbarkeit: Indem Trump „Versager“ auf Schlüsselpositionen setzt, schafft er ein Vakuum. Die Natur verabscheut die Leere, aber Putin liebt sie. Die Gefahr ist nicht nur, dass Trump ein „Narr“ ist, sondern dass er eine Beute ist. Ein Mann ohne historische Bildung, ohne moralische Prinzipien und besessen von seinem Image ist die ideale Marionette für einen KGB-Offizier, der in psychologischer Manipulation geschult ist.
  3. Die freiwillige Amnesie: „Biden ist schuld“ ist nicht nur die Ausrede eines verwöhnten Kindes. Es ist eine Technik zur Zerstörung des Gedächtnisses. Indem er die Verantwortung (das Wesen des Anführers) ablehnt, lädt Trump das Chaos ein. Denn wenn der Chef für nichts verantwortlich ist, dann haftet niemand für irgendetwas. Und in dieser Leere der Verantwortlichkeit wird das Recht des Stärkeren – oder des Reicheren – zur einzigen Verfassung.