Der Dokumentarfilm von Pierre-Olivier François und Jean-Marc Dreyfus, der am 10. Juni auf Arte ausgestrahlt wurde, bietet einen detaillierten und erschreckenden Einblick in einen spezifischen, aber zentralen Aspekt der Besatzungszeit: die staatliche Kollaboration, verkörpert durch zwei ebenso komplementäre wie wichtige Persönlichkeiten, den Franzosen Fernand de Brinon und den Deutschen Otto Abetz. Der Film begnügt sich nicht mit einem oberflächlichen Überblick über diese Zeit, sondern analysiert die Mechanismen ihres Handelns, ihre ideologischen und persönlichen Motive sowie die verhängnisvollen Folgen ihrer Zusammenarbeit. Ein wichtiger Dokumentarfilm, der sich auf zwei Lebenswege konzentriert und eine eindringliche Warnung ausspricht. Anhand von Archivbildern und bisher unveröffentlichten Zeugenaussagen zeigt er, wie persönliche Ambitionen, ideologische Überzeugungen und dieselbe politische Blindheit Menschen zu Werkzeugen eines totalitären Regimes, des Nazi-Regimes, machen und sie zu Komplizen der schlimmsten Gräueltaten werden lassen.
— Paris, 14. Juni 2025 – European-Security —
Inhaltsverzeichnis
Im Zentrum der deutsch-französischen Zusammenarbeit während des Zweiten Weltkriegs in Paris stehen zwei Persönlichkeiten, die sich durch ihre offiziellen Funktionen und ihr ideologisches Engagement auszeichnen: Otto Abetz, Reichsbotschafter, und Fernand de Brinon, Generalbevollmächtigter der Vichy-Regierung bei den Besatzungsbehörden. Ihr gemeinsames Handeln verkörperte die staatliche Kollaboration, die darauf abzielte, Frankreich unter der Ägide des Dritten Reiches in ein neues Europa zu integrieren.
Beide Männer spielten eine führende Rolle in der Zusammenarbeit zwischen dem besetzten Frankreich und dem Deutschen Reich. Fernand de Brinon war gewissermaßen der Botschafter der Vichy-Regierung bei den deutschen Besatzungsmächten. Er war sowohl Freund als auch Rivale von Otto Abetz, dem Botschafter des Dritten Reiches in Paris. Eine ihrer Vertrauten, Josée de Chambrun, die Tochter von Pierre Laval, hat ihre Kriegsjahre in der glanzvollen Welt der Diplomatie, zwischen Plünderung des nationalen Reichtums und Jagd auf Juden und Widerstandskämpfer, akribisch dokumentiert. Vor allem auf der Grundlage dieser Dokumente haben Jean-Marc Dreyfus und Pierre-Olivier François diesen hochwertigen Dokumentarfilm über ein in Frankreich selten behandeltes Thema gedreht.
Fernand de Brinon
Der Aristokrat und Journalist Fernand de Brinon (1885-1947) war ein langjähriger Befürworter einer Annäherung an Deutschland. Seit den 1930er Jahren setzte er sich für eine Einigung mit dem Nazi-Regime ein. Nach der Niederlage 1940 wurde er zu einer der führenden Figuren der Kollaboration.
Vor dem Krieg: Pionier der Annäherung an Nazideutschland
Bereits 1933 machte sich der Journalist Fernand de Brinon einen Namen als erster Franzose, der ein Exklusivinterview mit Adolf Hitler führte. Dieses Treffen war der Beginn einer langen Beziehung zu hohen Würdenträgern des Nazi-Regimes. Überzeugt von der Notwendigkeit einer deutsch-französischen Verständigung, selbst unter der Ägide der Nazis, knüpfte er zahlreiche Kontakte zur neuen deutschen Macht.
1935 konkretisierte er sein Engagement mit der Gründung des Comité France-Allemagne. Diese von ihm aktiv geleitete Organisation hatte zum Ziel, engere Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu fördern, aber auch Begegnungen zwischen französischen Eliten und Nazi-Verantwortlichen zu erleichtern und so zur Propaganda des Dritten Reiches in Frankreich beizutragen. Brinon wurde 1940 zu einem bevorzugten Gesprächspartner der Deutschen in Paris und unterhielt enge Beziehungen zu führenden Persönlichkeiten wie Otto Abetz, dem späteren Reichsbotschafter in Paris. Zwischen 1935 und 1937 traf er Hitler fünf weitere Male.
Während der Besatzungszeit: Botschafter der Kollaboration
Mit der Niederlage von 1940 und der Errichtung des Vichy-Regimes nahmen Brinons Verbindungen zum Nationalsozialismus eine offizielle Dimension an. Im November 1940 wurde er zum Generaldelegierten der französischen Regierung in den besetzten Gebieten ernannt, eine Position, die der eines Botschafters von Vichy in Paris bei den deutschen Behörden entsprach. In dieser Funktion wurde er zu einem der wichtigsten Architekten der staatlichen Kollaboration. Seine Handlungen und Beziehungen zeugen von seiner Loyalität gegenüber der Nazi-Politik:
- Enge Zusammenarbeit mit Otto Abetz: Er arbeitete Hand in Hand mit dem deutschen Botschafter. Gemeinsam prägten sie das politische und gesellschaftliche Leben der Kollaborateure in Paris und teilten die Vision eines faschistischen Europas unter deutscher Herrschaft.
- Unterstützung der deutschen Kriegsanstrengungen: Er unterstützt aktiv Initiativen wie die Gründung der Légion des volontaires français contre le bolchevisme (LVF, Freiwilligenlegion der Franzosen gegen den Bolschewismus), die Franzosen an die Ostfront schicken soll, um dort an der Seite der Wehrmacht zu kämpfen.
- Beteiligung an Nazi-Propagandaveranstaltungen: Ein berüchtigtes Foto zeigt ihn beim Nazi-Gruß vor dem Grabmal des Aiglon während der von den Deutschen inszenierten Überführung seiner Asche in die Invalidenkirche im Dezember 1940.
Bis zum Ende des Krieges blieb Fernand de Brinon eine der Säulen der französischen Kollaboration. Nach der Landung der Alliierten im Jahr 1944 leitete er sogar die Regierungskommission von Sigmaringen, einen Versuch, eine französische Exilregierung in Deutschland aufrechtzuerhalten.
Nach der Befreiung wurde er wegen seines unerschütterlichen Engagements für Nazi-Deutschland vom Obersten Gerichtshof verurteilt und wegen Kollaboration mit dem Feind zum Tode verurteilt. Er wurde im April 1947 hingerichtet.
Otto Abetz, Reichsbotschafter in Paris
Otto Abetz (1903-1958) wurde im August 1940, kurz nach dem Waffenstillstand, zum deutschen Botschafter in Paris ernannt. Der ehemalige Zeichenlehrer und in seiner Jugend frankophile Abetz war in der Zwischenkriegszeit in Kreisen der deutsch-französischen Annäherung aktiv. Sein Werdegang führte ihn jedoch zur NSDAP und zu einer zentralen Rolle in Hitlers Diplomatie.
In Paris spielte er eine zwiespältige Rolle. Er war mit der Umsetzung der Kollaborationspolitik, der Überwachung des politischen und kulturellen Lebens in Frankreich und der Plünderung von Kunstwerken beauftragt. Er unterhielt enge Beziehungen zu Marschall Pétain und Pierre Laval und führte gleichzeitig ein reges gesellschaftliches und kulturelles Leben in der besetzten Hauptstadt, wo er zahlreiche französische Künstler und Intellektuelle in seiner Botschaft in der Rue de Lille empfing. Sein Ziel ist es, die Idee eines faschistischen „neuen Europas” zu fördern und sich die Unterstützung der französischen Eliten für das deutsche Projekt zu sichern. Er ist auch an der antisemitischen Politik beteiligt, wobei seine Botschaft eine Rolle bei der Enteignung jüdischen Eigentums spielt.
1. Die Ausgangslage: Zwei Männer, eine fixe Idee
Der Dokumentarfilm „Les ambassadeurs de la collaboration” (Die Botschafter der Kollaboration) stellt seine Protagonisten sorgfältig vor, lange bevor der Krieg sie an die Spitze des Kollaborationsapparats bringt.
- Otto Abetz: Der pervertierte Frankophile. Abetz’ Werdegang ist der eines Germanen, der sich für die französische Kultur begeistert. In den 1930er Jahren leitete er deutsch-französische Jugendkreise und träumte von einer Versöhnung zwischen den beiden Nationen. Seine Frankophilie wurde jedoch nach und nach von der nationalsozialistischen Ideologie instrumentalisiert und pervertiert. Abetz, der vom Nationalsozialismus fasziniert war, näherte sich schon früh Joachim von Ribbentrop, dem Außenminister des Reiches. Seine intimen Kenntnisse der politischen, künstlerischen und intellektuellen Netzwerke Frankreichs galten damals als großer Vorteil für Deutschland. Der Film zeichnet ihn als einen Mann, der seine Liebe zu Frankreich ausnutzte, um es besser unterwerfen zu können.
- Fernand de Brinon: Der Ehrgeiz eines Germanophilen. Der Journalist und Aristokrat Fernand de Brinon wird als ehrgeiziger Mann dargestellt, der davon überzeugt war, dass die Zukunft Frankreichs in einem dauerhaften Einvernehmen mit Deutschland liege, unabhängig von der Art des Regimes. Seine größte Leistung war es, als erster französischer Journalist bereits 1933 ein Interview mit Adolf Hitler zu bekommen. Dieses Ereignis machte ihn zu einem bevorzugten Gesprächspartner und selbsternannten „Experten” für deutsch-französische Beziehungen. Der Dokumentarfilm zeigt, wie sein Wunsch, eine führende Rolle zu spielen, und seine ideologische Überzeugung ihn blind machten und ihn zu einer der Säulen der Kollaboration werden ließen.
2. Die Architekten der Kollaboration (1940-1944)
Nach der Niederlage und Besetzung Frankreichs wurde Otto Abetz zum Botschafter in Paris ernannt und Fernand Brinon zum Generaldelegierten der Vichy-Regierung in der besetzten Zone. Sie bildeten ein äußerst effizientes Duo.
- Politische und diplomatische Kollaboration: Der Film zeigt, wie die beiden Männer als ständige Schnittstelle zwischen Vichy und Berlin fungierten. Sie ermöglichten Treffen, darunter das berüchtigte Treffen von Montoire zwischen Pétain und Hitler. Ihr gemeinsames Ziel war es, Frankreich dauerhaft in einem „neuen Europa” unter nationalsozialistischer Vorherrschaft zu verankern. Sie arbeiteten daran, die französische Politik an die deutschen Wünsche anzupassen und die Vichy-Regierung immer weiter in die Kompromisslosigkeit zu treiben.
- Kulturelle und gesellschaftliche Zusammenarbeit: Einer der faszinierendsten und beunruhigendsten Aspekte, die der Dokumentarfilm beleuchtet, ist das gesellschaftliche und kulturelle Leben, das sie im besetzten Paris führten. Insbesondere Abetz organisierte prunkvolle Empfänge in der deutschen Botschaft, zu denen sich die gesamte Pariser Kunst-, Unterhaltungs- und Presseszene (wie Sacha Guitry, Arletty oder Coco Chanel) drängte. Diese intensive Propagandaaktivität zielte darauf ab, das Bild einer „Normalisierung“ und einer fruchtbaren intellektuellen Zusammenarbeit zu vermitteln. Der Film stellt den Glanz dieser Champagnerabende in krassem Gegensatz zu dem Elend, den Razzien und dem Terror, die in den Straßen derselben Stadt herrschen.
- Die Beteiligung an Verfolgung und Plünderung: Der Dokumentarfilm von Jean-Marc Dreyfus und Pierre-Olivier Françoisbeschränkt sich nicht auf Diplomatie und mondäne Veranstaltungen. Er zeigt die direkte Verantwortung der beiden Männer für die dunkelsten Aspekte der Besatzungszeit. Sie sind wesentliche Rädchen im Getriebe der antisemitischen Politik, erleichtern die Enteignung jüdischen Eigentums und arbeiten aktiv an der Logistik der Deportationen mit. Ihr Handeln ist nicht passiv, sondern aktive Mittäterschaft an den Verbrechen gegen die Menschlichkeit des Nazi-Regimes.
3. Der Untergang: Sigmaringen und das Urteil der Geschichte
Mit dem Vormarsch der Alliierten im Jahr 1944 zerbricht der Traum von einem nationalsozialistischen Europa.
- Die letzte Zuflucht: Brinon und ein Teil der Vichy-Regierung folgen ihren deutschen „Beschützern” in den Rückzug ins Schloss Sigmaringen in Deutschland. Der Dokumentarfilm schildert diese Zeit als pathetisches „Ende einer Herrschaft”, als letzte Farce, in der diese Exilregierung noch vorgibt, Frankreich zu regieren.
- Die Stunde der Abrechnung: Nach dem Krieg entkommen weder Brinon noch Abetz der Justiz. Fernand de Brinon wird in Frankreich vor Gericht gestellt, wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und 1947 hingerichtet. Otto Abetz wird ebenfalls von einem französischen Gericht verurteilt und zu Zwangsarbeit verurteilt; er wird schließlich 1954 freigelassen und stirbt wenige Jahre später bei einem Autounfall.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Les Ambassadeurs de la Collaboration“ ein wichtiger Dokumentarfilm ist, der sich auf diese beiden Lebenswege konzentriert und eine eindringliche Warnung ausspricht. Er zeigt, wie persönliche Ambitionen, ideologische Überzeugungen und politische Blindheit Menschen zu Werkzeugen eines totalitären Regimes machen und sie zu Komplizen der schlimmsten Gräueltaten werden lassen. Es ist eine präzise Analyse der individuellen Verantwortung im Zentrum der staatlichen Kollaboration.
Reflexion zur Analyse von Jean-Marc Dreyfus und Pierre-Olivier François
Ideologie oder Opportunismus?
- Was hat diese Männer hauptsächlich motiviert? Der Dokumentarfilm deutet auf eine giftige Mischung hin: eine echte ideologische Überzeugung (Antikommunismus, Vision einer neuen Ordnung), die als moralische Rechtfertigung für maßlose persönliche Ambitionen dient. Opportunismus ermöglichte ihnen den Aufstieg, und die Ideologie rationalisierte ihre schlimmsten Taten.
- Kultur als Propagandawaffe: Analyse, wie die „mondäne“ Kollaboration als Schaufenster diente, um die Brutalität der Besatzung zu verschleiern, eine Form von „Soft Power“ vor ihrer Zeit. Wie konnten sich Künstler kompromittieren?
- War es aus Naivität, Zynismus, Eitelkeit, Antisemitismus oder einfach aus der Notwendigkeit heraus, weiterarbeiten zu können? Die Frage bleibt komplex und schmerzhaft.
- Die individuelle Verantwortung: Der Fall Brinon und Abetz wirft die Frage nach der von Hannah Arendt theoretisierten „Banalität des Bösen” auf. Es waren keine ungebildeten Monster, sondern gebildete und kultivierte Männer, die zu eifrigen Akteuren eines kriminellen Systems wurden. Ihre Geschichte zeigt, dass Kultur kein Impfstoff gegen Barbarei ist, und wirft die Frage nach der persönlichen Verantwortung gegenüber Befehlen und der vorherrschenden Ideologie auf.
- Eine Warnung für die Gegenwart: Inwiefern kann die Untersuchung dieser Mechanismen der Kollaboration Aufschluss über unsere heutige Zeit geben? Indem sie uns auf die Gefahren der politischen Polarisierung, die Verlockung autoritärer Diskurse, die eine Rückkehr zur Ordnung versprechen, und die langsame Erosion demokratischer Normen aufmerksam macht, wenn Eliten aus Angst oder Interesse Kompromisse eingehen. Es ist eine Lektion über die Fragilität von Demokratien gegenüber internen und externen Bedrohungen.
Siehe auch: « Les ambassadeurs de la collaboration » — (2025-0614)