Wir hatten ursprünglich geplant, eine wöchentliche deutsch-französische Presseschau in französischer und deutscher Sprache zu veröffentlichen. Aufgrund des großen Interesses haben wir uns jedoch entschlossen, stattdessen eine ausführlichere monatliche Presseschau zu erstellen und diese um eine englische Version zu ergänzen. Hier ist unsere erste Ausgabe.
Analyse einer Beziehung im Wandel (Juni 2025)
Dieser erster Bericht analysiert den deutsch-französischen „Neustart“ vom Juni 2025, der von Präsident Macron und dem neuen Bundeskanzler Merz initiiert wurde. Diese Annäherung ist weniger das Ergebnis einer gemeinsamen Vision als vielmehr eine pragmatische Reaktion auf externen Druck wie den NATO-Gipfel und die russische Bedrohung. Eine Konvergenz wurde bei den Verteidigungsausgaben, der Energiepolitik (mit einer Entspannung in der Nuklearfrage) und der digitalen Innovation festgestellt, oft dank der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. Es bestehen jedoch weiterhin tiefe strategische Divergenzen, insbesondere hinsichtlich der europäischen Autonomie gegenüber der transatlantischen Bindung und bei Themen wie dem Mercosur-Abkommen. Die Beziehung ist somit eine kalkulierte Partnerschaft, deren Stabilität durch künftige geopolitische und wirtschaftliche Herausforderungen auf die Probe gestellt wird.
European-Security — Paris, Berlin, den 30.Juni 2025 —
Inhaltsverzeichnis
Einleitung: Der Kontext eines Neustarts
Der Juni 2025 war eine Zeit intensiver diplomatischer Aktivitäten für das deutsch-französische Paar und bot einen ersten Praxistest für den auf höchster Ebene angekündigten „Neustart“. Dieser Neuanfang wurde durch die Wahl des neuen deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz am 6. Mai 2025 eingeleitet, die nach einer in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland beispiellosen Stichwahl einen konservativen Kurswechsel für das Land markierte.[01] Bereits am 7. Mai legte ein Treffen in Paris zwischen Präsident Emmanuel Macron und dem neuen Kanzler,[02] begleitet von einem gemeinsamen Gastbeitrag in Le Figaro, den Grundstein für den Willen, die „deutsch-französischen Beziehungen neu aufzustellen“.[03] Dieser Neustart, der auf eine Zeit spürbarer Reibungen und Spannungen unter der Vorgängerregierung von Olaf Scholz folgte,[04][05] wurde schnell mit den geopolitischen Realitäten konfrontiert.
Diese Analyse des Monats Juni 2025 wird die Substanz dieses „Neustarts“ anhand von drei Hauptachsen untersuchen:
- Strategische Ausrichtung: Wie äußerer Druck, insbesondere ein hochbrisantes NATO-Gipfeltreffen und eine unberechenbare amerikanische Regierung, eine Annäherung in Sicherheits- und Verteidigungsfragen beschleunigt haben.
- Wirtschaftlicher Pragmatismus: Die Suche nach Kompromissen bei strittigen Themen wie Energie und Industriepolitik, angetrieben von einem neuen wirtschaftlichen Realismus.
- Institutionelle und gesellschaftliche Dynamiken: Die Rolle formeller Rahmenwerke wie der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung (DFPV) und der zugrunde liegende Zustand der Beziehungen zwischen den beiden Gesellschaften.
Die Beobachtung der Ereignisse im Juni legt nahe, dass diese Annäherung nicht primär das Ergebnis einer angeborenen politischen Chemie oder einer gemeinsamen ideologischen Vision ist. Es handelt sich vielmehr um eine weitgehend reaktive und pragmatische Ausrichtung, die aus der Notwendigkeit angesichts erheblichen externen Drucks – einer durchsetzungsstarken Trump-Regierung, der andauernden russischen Bedrohung – und gemeinsamer interner Herausforderungen wie wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit und Energiesicherheit geschmiedet wurde.[04][06][07] Die medienwirksamen „Flitterwochen“ [08] erscheinen weniger als spontane Romanze denn als kalkulierte Partnerschaft, um in einem gefährlichen geopolitischen Umfeld zu navigieren. Die Solidität dieses neuen Einvernehmens wird sich an seiner Fähigkeit messen lassen, die strukturellen Divergenzen zu überwinden, die unter der Oberfläche der wiedergefundenen Einheit fortbestehen.
Kapitel 1: Die Sicherheits- und Verteidigungsachse: Eine geschlossene Front angesichts transatlantischer Unsicherheit
1.1 Der NATO-Gipfel: Strategische Konvergenz unter amerikanischem Druck
Die Vorbereitungen für den NATO-Gipfel in Den Haag am 25. Juni dominierten die diplomatische Agenda und zwangen Paris und Berlin, eine gemeinsame Front zu zeigen. Die Regierungserklärung von Bundeskanzler Merz vor dem Bundestag am 24. Juni war ein entscheidender Moment, der die neue deutsche Haltung definierte.[06][09][10][11][12] Mit der Feststellung, dass Deutschland „zurück auf der europäischen und internationalen Bühne ist, mit Stärke und Verlässlichkeit“, nannte er den Gipfel „historisch“ und verpflichtete sein Land, die Bundeswehr zur „stärksten konventionellen Armee in Europa“ zu machen und damit den Erwartungen der Partner gerecht zu werden.[06][09]
Dieser erneute Ehrgeiz in der Verteidigungspolitik ist von einer doppelten Motivation getrieben. Offiziell ist er eine direkte Antwort auf die russische Bedrohung. Der Kanzler betonte, dass die Erhöhung der Ausgaben nicht dazu diene, „den Vereinigten Staaten und ihrem Präsidenten einen Gefallen zu tun“, sondern auf den „eigenen Überzeugungen“ Deutschlands angesichts eines Russlands beruhe, das „die Sicherheit und Freiheit der gesamten euro-atlantischen Region gefährdet“.[10][13][14][15] Hinter den Kulissen ist diese Haltung jedoch auch ein offenkundiger Versuch, die Forderungen der Trump-Regierung zu besänftigen und zu steuern, die die Verteidigungsausgaben zu einem Barometer für das Engagement der Verbündeten gemacht hat.[07][16][17] Die deutsch-französische Erklärung vom 23. Juni, die „Einheit und Solidarität“ innerhalb des Bündnisses betonte, diente dazu, diese geschlossene Front vor dem Gipfel zu zementieren.[18] Diese Koordination erstreckte sich auch auf das E3-Format mit einem Treffen zwischen Emmanuel Macron, Friedrich Merz und dem britischen Premierminister Keir Starmer am Rande des Gipfels, was den Willen zur Präsentation eines kohärenten europäischen Pols bezeugte.[16]
Diese scheinbare Einigkeit bei den Militärausgaben verbirgt jedoch eine grundlegende und ungelöste philosophische Divergenz. Für Frankreich ist die Stärkung der europäischen Verteidigungsfähigkeiten ein Eckpfeiler der „strategischen Autonomie“, die darauf abzielt, die Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten zu verringern[05][19] Für Friedrich Merz‘ Deutschland geht es vor allem darum, den „europäischen Pfeiler der NATO“ zu festigen, um sicherzustellen, dass Washington weiterhin für die Sicherheit des Kontinents engagiert bleibt. Dieser Unterschied ist nicht semantischer, sondern strategischer Natur. Berlins frühere Entscheidung, amerikanische F-35-Kampfflugzeuge zu erwerben, anstatt eine europäische Lösung zu bevorzugen, hatte diese Spannung bereits verdeutlicht und in Paris für Verärgerung gesorgt.[04][08] Der Krieg in der Ukraine hat diese Kluft verschärft: Während Frankreich darin den Beweis für die Notwendigkeit größerer Unabhängigkeit sah, stärkte Deutschland seine Bindungen zu Washington als ultimativem Garanten seiner Sicherheit.[04] Der „Neustart“ erscheint daher als ein Pakt, um beim unmittelbaren Bedarf – mehr auszugeben – zu kooperieren, während die grundlegende Debatte über das Endziel dieses Aufbaus aufgeschoben wird.
1.2 Koordination in der Außenpolitik: Der Fall des Nahen Ostens
Der Konflikt im Nahen Osten bot ein weiteres Testfeld für die neue deutsch-französische Koordination. Am 24. Juni riefen die beiden Hauptstädte gemeinsam zu einem Waffenstillstand in Gaza auf.[20] Präsident Macron bezeichnete dieses Ziel als „absolute Priorität“, während Bundeskanzler Merz vor den Abgeordneten erklärte, „die Zeit ist gekommen“ für eine Waffenruhe.[20]
Die Analyse der deutschen Position offenbart jedoch einen komplexen Balanceakt. Einerseits bekräftigte Friedrich Merz mit Nachdruck die Verpflichtung Deutschlands zur Sicherheit Israels, die als „Staatsräson“ bezeichnet wird.[06][09][11][12] Andererseits verschärfte er seinen Ton, indem er sich das Recht vorbehielt, „die Ziele Israels im Gazastreifen kritisch zu hinterfragen“ und eine humane Behandlung der Zivilisten forderte.[20] Diese Nuance ist entscheidend: Berlin lehnte die Aussetzung des EU-Israel-Assoziierungsabkommens, ein von anderen europäischen Partnern befürwortetes Druckmittel, ausdrücklich ab und zeigte damit die Grenzen seiner Ausrichtung auf.[20] In der Iran-Frage ist die Koordination reibungsloser, wie die gemeinsame E3-Erklärung (Frankreich, Deutschland, Vereinigtes Königreich) vom 22. Juni belegt, die Teheran auffordert, die Region nicht weiter zu destabilisieren.[21][22][23] Bundeskanzler Merz hämmerte ein, dass „der Iran keine Atomwaffen besitzen darf“, was perfekt mit der französischen Position übereinstimmt.[06][09]
Die koordinierten Erklärungen zum Nahen Osten zeugen also von einer effektiven Diplomatie auf höchster Ebene, offenbaren aber auch die strukturellen Grenzen der außenpolitischen Konvergenz. Wenn grundlegende nationale Interessen und historische Verantwortlichkeiten wie die deutsche „Staatsräson“ gegenüber Israel im Spiel sind, ist der Handlungsspielraum Berlins stärker eingeschränkt als der von Paris. Während sich die beiden Partner auf das Ziel (einen Waffenstillstand) einigen können, unterscheiden sich ihre diplomatischen und wirtschaftlichen Werkzeugkästen sowie ihre Bereitschaft, diese einzusetzen, erheblich. Der „Neustart“ kann diese grundlegenden nationalen Zwänge nicht auslöschen.
1.3 Schengen wird vierzig: Zwischen Feier und Spannungen
Im Juni trafen die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag des Schengener Abkommens am 14. Juni und die andauernde Realität der temporären Kontrollen an den Binnengrenzen, die sowohl von Frankreich als auch von Deutschland zur Bekämpfung der irregulären Einwanderung aufrechterhalten werden, aufeinander.[24] Die Erklärung von Bundeskanzler Merz auf dem sozialen Netzwerk X veranschaulicht diese Spannung: Er feiert ein „einzigartiges“ Abkommen, das „die Grundlage unseres freien Europas“ bildet, um dann sofort auf die Notwendigkeit „sicherer Außengrenzen“ und die „Umsetzung der neuen Migrationsregeln“ zu sprechen zu kommen.[24]
Angesichts dieser politischen Reibung ist eine pragmatische Lösung aus dem parlamentarischen Dialog hervorgegangen. Französische und deutsche Abgeordnete haben im Rahmen der DFPV einen gemeinsamen Vorschlag ausgearbeitet, um die Möglichkeit der Einrichtung „gemeinsamer Kontrollmechanismen“ an der Grenze zu prüfen.[25][26] Diese Initiative wurde konzipiert, um die durch die Verschärfung der Kontrollen durch Berlin entstandenen Spannungen abzubauen und einen Streitpunkt in ein Kooperationsprojekt umzuwandeln.[26]
Dieser Ansatz veranschaulicht eine Schlüsselstrategie der erneuerten deutsch-französischen Beziehung: die Nutzung des institutionellen Rahmens der DFPV, um technische und operative Lösungen zu entwickeln, die politisch heikle nationale Fragen umgehen oder entschärfen. Indem die Debatte über das Grenzmanagement von der exekutiven Ebene, wo sie zu schädlichen Konfrontationen führen könnte, in ein gemeinsames parlamentarisches Forum verlagert wird, gelingt es den beiden Ländern, den Kompromiss zu institutionalisieren. Diese „DFPV-Methode“ scheint ein bewusstes Werkzeug zu sein, um Meinungsverschiedenheiten zu bewältigen, indem man sie in technische Kooperationsprojekte umwandelt.
Kapitel 2: Wirtschaft und Energie: Die Suche nach dem pragmatischen Kompromiss
2.1 Die Energieunion: Kernenergie, Reibungspunkt oder Hebel für die Zusammenarbeit?
Der Energiedialog erlebte im Juni 2025 eine bemerkenswerte Wende. Während die vorangegangene Ära von einem offenen Konflikt über die Rolle der Kernenergie geprägt war, da Deutschland der zivilen Atomkraft in einem Klima der Kontroverse den Rücken gekehrt hatte,[04][27] ist nun eine deutliche „Entspannung“ spürbar.[28] Ohne sich dem Atom anzuschließen, „öffnet Berlin die Tür zur Zusammenarbeit mit Frankreich bei der Kernenergie“,[29] wobei der Fokus wahrscheinlich eher auf Forschung und Zukunftstechnologien als auf dem bestehenden Kraftwerkspark liegt.[30]
Das Herzstück dieses neuen Pragmatismus ist die Entschließung mit dem Titel „Mit Energie voran! Deutsch-französische Impulse für eine Europäische Energieunion“, die von der DFPV am 16. Juni verabschiedet wurde.[25] Die gemeinsame Anhörung des französischen Industrieministers Marc Ferracci und der Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche während derselben Sitzung war ein Schlüsselmoment. Die beiden Minister debattierten über die jeweilige Rolle von Kernenergie und erneuerbaren Energien bei der Dekarbonisierung und signalisierten einen weniger ideologischen Ansatz.[25] Die Erklärung von Herrn Ferracci, dass „wir alle Technologien unterstützen müssen, die die Dekarbonisierung ermöglichen“, ob erneuerbare oder nukleare, fasst diesen neuen Geist perfekt zusammen.[31]
Dieser Haltungswechsel Deutschlands ist keine ideologische Bekehrung, sondern ein Zugeständnis, das von einem akuten wirtschaftlichen Realismus diktiert wird. Der Druck auf die deutsche Industrie, eine stabile und dekarbonisierte Energieversorgung zu gewährleisten, hat die alte dogmatische Opposition gegen die französische Kernenergie in europäischen Verhandlungen unhaltbar gemacht. Die Merz-Regierung mit ihrer ausgeprägten wirtschaftsfreundlichen Ausrichtung scheint verstanden zu haben, dass ein pragmatischer Kompromiss mit Frankreich unerlässlich war, um Reformen des europäischen Strommarktes freizusetzen und die Preise zum Nutzen der eigenen industriellen Wettbewerbsfähigkeit zu stabilisieren.[25] Die Priorisierung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit gegenüber grüner Orthodoxie scheint ein entscheidendes Merkmal der neuen Kanzlerschaft zu sein.
2.2 Technologische Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit: Ein gemeinsames Ziel
Das Bestreben, die europäische technologische Souveränität zu stärken, ist ein weiterer Bereich starker Konvergenz. Die zweite große Entschließung, die von der DFPV am 16. Juni verabschiedet wurde, „Für die Schaffung eines Deutsch-Französischen Zentrums für digitale Innovation“, ist dessen konkretester Ausdruck.[25][32] Dieses Projekt zielt darauf ab, ein Exzellenzzentrum für „disruptive Technologien“ wie künstliche Intelligenz, souveräne Cloud, Quantentechnologien und Cybersicherheit der nächsten Generation zu schaffen. Sein geplanter Standort an der deutsch-französischen Grenze soll grenzüberschreitende Ökosysteme stimulieren und eine gemeinsame Dynamik schaffen.[32]

Diese Initiative beginnt nicht bei Null. Sie ist eine Fortsetzung bestehender Kooperationen in Forschung und Entwicklung, wie gemeinsame Projektaufrufe zu privaten 5G-Netzen oder KI, oder die Deutsch-Französische Akademie für die Industrie der Zukunft.[33][34][35][36] Sie stellt eine Beschleunigung und Institutionalisierung dieser Bemühungen dar. Dieses Ziel ist direkt mit dem umfassenderen politischen Ziel verbunden, das von Bundeskanzler Merz formuliert wurde, Bürokratie abzubauen und die Entstehung von „europäischen Champions“ zu fördern, die auf der Weltbühne wettbewerbsfähig sind.[06][08][09]
2.3 Handelspolitik: Eine zerbrechliche gemeinsame Front
An der Handelsfront zeigen Paris und Berlin ein geschlossenes Gesicht gegenüber der Drohung von US-Zöllen. In seiner Regierungserklärung rief Bundeskanzler Merz dazu auf, einen Handelskrieg zu vermeiden, warnte aber gleichzeitig, dass die EU „ihre Interessen verteidigen kann und wird“, falls nötig – eine Position, die der von Paris entspricht.[06][09][11]
Diese Einheitsfassade bröckelt jedoch bei der Frage des Handelsabkommens zwischen der EU und dem Mercosur. Dieses Thema bleibt eine tiefe Bruchlinie und ein wichtiger Punkt öffentlicher Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden Ländern.[08] Es verdeutlicht die strukturellen Unterschiede zwischen der stark exportorientierten deutschen Wirtschaft und den traditionell protektionistischeren französischen Agrarinteressen.
Kapitel 3: Der bilaterale Motor: Institutionen und Gesellschaft
3.1 Parlamentarischer Dialog: Die DFPV als Kooperationslabor
Die Plenarsitzung der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung am 16. Juni etablierte sich als zentrales Ereignis der bilateralen Zusammenarbeit des Monats und fungierte als echte Clearingstelle und politischer Inkubator.[25][37] Diese Sitzung war von mehreren Höhepunkten geprägt: den Eröffnungsreden der Präsidentin der Nationalversammlung, Yaël Braun-Pivet, die zu einem „mächtigen Europa“ aufrief, das vom deutsch-französischen Paar getragen wird, und der Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, die für eine EU-Reform plädierte, um das Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen.[25] Die Wahl der neuen Ko-Vorsitzenden des Präsidiums, Brigitte Klinkert für Frankreich und Andreas Jung für Deutschland, symbolisierte diese institutionelle Erneuerung.[25] Die Verabschiedung der drei strategischen Entschließungen zu Energie, Digitalem und Kapitalmärkten demonstrierte die aktive Rolle der DFPV bei der Gestaltung gemeinsamer Politiken.[25]
3.2 Zivilgesellschaft und Kulturaustausch: Ein kontrastreiches Bild
Jenseits der Institutionen bieten die gesellschaftlichen und kulturellen Beziehungen ein differenzierteres Bild. Auf institutioneller Ebene zielt die Einführung des neuen Deutsch-Französischen Parlamentspreises darauf ab, Initiativen der Zivilgesellschaft zu fördern und die Verbindungen zwischen den beiden Völkern zu stärken.[25]
Auf einer symbolischeren Ebene bietet die Medienberichterstattung über zwei Sportereignisse eine interessante Metapher für die Dynamik von Kooperation und Rivalität, die die Beziehung kennzeichnet. Einerseits errang das französische Team bei den in Deutschland organisierten Militär-Judo-Weltmeisterschaften eine „Medaillenernte“ und wurde im Geiste des gesunden Wettbewerbs Mannschafts-Vizeweltmeister.[38] Andererseits wurde die französische U21-Fußballmannschaft im Halbfinale der Euro-2025 von ihrem deutschen Pendant mit 3:0 „deutlich geschlagen“, wobei die junge Mannschaft klinische Effizienz und überlegene taktische Meisterschaft bewies.[39]
Diese gegensätzlichen Sportergebnisse können als Metapher für die Art der deutsch-französischen Beziehung dienen. Es handelt sich nicht um eine Partnerschaft von Gleichen in allen Bereichen, sondern um eine Vereinigung komplementärer und manchmal konkurrierender Kräfte. Der französische Erfolg im Militärjudo, einem Einzel- und Mannschaftskampfsport, kann die anerkannte Stärke Frankreichs in der Verteidigung und seine Kultur der Machtprojektion symbolisieren. Der deutsche Sieg im Fußball, einem Sport, bei dem kollektive Disziplin, Effizienz und strategische Geduld von größter Bedeutung sind – die Mannschaft überließ den Franzosen den Ball, um sie besser zu kontern [39] – kann als Symbol für Deutschlands wirtschaftliche und industrielle Stärke gesehen werden, die auf rigoroser Organisation beruht. Der „Neustart“ besteht also nicht darin, dass ein Partner das Modell des anderen übernimmt, sondern darin, Wege zu finden, diese unterschiedlichen Stärken auf ein gemeinsames europäisches Ziel auszurichten.
Fazit: Bilanz und Perspektiven des „Neustarts“
Die Bilanz des Monats Juni 2025 bestätigt die Realität des deutsch-französischen „Neustarts“. Er manifestiert sich in einer deutlich verstärkten hochrangigen Koordination und einem pragmatischen, entpolitisierten Ansatz zur Problemlösung. Insbesondere die DFPV hat sich als zentrales Werkzeug dieser neuen Methode etabliert. Dieses Einvernehmen scheint jedoch eher von externen Zwängen diktiert zu sein als von spontaner interner Harmonie.
Die zentrale Spannung in der Beziehung bleibt ungelöst: Sie stellt die französische Vision einer selbstbewussten europäischen Souveränität gegen die deutsche Präferenz für eine gestärkte transatlantische Partnerschaft. Die Ereignisse im Juni zeigen, dass Paris und Berlin diese Spannung im Alltag bewältigen, aber nicht grundlegend lösen können. Die Dauerhaftigkeit des Einvernehmens zwischen Macron und Merz wird durch die bevorstehenden Herausforderungen auf die Probe gestellt, insbesondere durch die Abschlussverhandlungen über den Handelsstreit mit den Vereinigten Staaten, die konkrete Umsetzung gemeinsamer Verteidigungsprojekte und die Bewältigung der nächsten Schritte des europäischen ökologischen Übergangs.
European-Security
Siehe auch:
- Der deutsch-französische „Neustart“ (2025-0630) —
- The Franco-German « New Start » — (2025-0630) —
- Donald, Objekt europäischen Ressentiments! — (2025-0625) —
- Donald unique objet de notre ressentiment ! — (2025-0625) —
- Deutsch-französischer Presseschau vom 10. bis 16.06.2025 — (2025-0625) —
- Revue de Presse franco-allemande du 10 au 16.06.2025 — (2025-0616) —
Quellen und Legenden
[1] Der Spiegel (07.05.2025), ‘Merz gewinnt Stichwahl und wird neuer Bundeskanzler’, spiegel.de
[2] Le Figaro (07.05.2025), ‘Macron reçoit Merz à l’Élysée pour un « nouveau départ » franco-allemand’, lefigaro.fr
[3] Le Figaro (07.05.2025), ‘Emmanuel Macron et Friedrich Merz : remettre à plat les relations franco-allemandes pour l’Europe’, lefigaro.fr/vox/monde/emmanuel-macron-et-friedrich-merz-remettre-a-plat-les-relations-franco-allemandes-pour-l-europe-20250507
[4] Le Monde Diplomatique (Juni 2025), ‘France-Allemagne : les raisons d’une discorde’, monde-diplomatique.fr
[5] Frankfurter Allgemeine Zeitung (02.06.2025), ‘Die strategische Kakofonie zwischen Paris und Berlin’, faz.net
[6] Süddeutsche Zeitung (24.06.2025), ‘Merz im Bundestag: « Deutschland ist zurück »‘, sueddeutsche.de
[7] Politico Europe (20.06.2025), ‘Europe holds its breath as Trump turns up heat ahead of NATO summit’, politico.eu
[8] Die Zeit (12.06.2025), ‘Die Flitterwochen von Macron und Merz’, zeit.de
[9] Bundestag.de (24.06.2025), ‘Regierungserklärung von Bundeskanzler Friedrich Merz zur europäischen und internationalen Lage’, bundestag.de/mediathek
[10] Tagesschau (24.06.2025), ‘Kanzler Merz verspricht « stärkste konventionelle Armee in Europa »‘, tagesschau.de
[11] Phoenix (24.06.2025), ‘Live: Regierungserklärung des Bundeskanzlers im Bundestag’, phoenix.de
[12] N-TV (24.06.2025), ‘Merz pocht auf deutsche Führungsrolle’, n-tv.de
[13] Euronews (19.06.2025), ‘Russian military buildup near NATO borders raises alarm in Eastern Europe’, euronews.com
[14] The Guardian (18.06.2025), ‘Baltic states call for permanent NATO garrisons to deter Russia’, theguardian.com
[15] The Wall Street Journal (21.06.2025), ‘NATO intelligence points to sustained Russian hybrid warfare campaign’, wsj.com
[16] The Financial Times (25.06.2025), ‘Macron, Merz and Starmer show united front at tense NATO summit’, ft.com
[17] The Atlantic (15.06.2025), ‘The Coming Storm: How Europe Is Preparing for a Transactional Trump’, theatlantic.com
[18] Élysée.fr (23.06.2025), ‘Déclaration conjointe de la France et de l’Allemagne en amont du sommet de l’OTAN’, elysee.fr
[19] Institut Montaigne (Juni 2025), ‘L’autonomie stratégique européenne : un concept à l’épreuve des faits’, institutmontaigne.org
[20] France 24 (24.06.2025), ‘Paris et Berlin appellent conjointement à un « cessez-le-feu immédiat » à Gaza’, france24.com
[21] Auswaertiges-amt.de (22.06.2025), ‘E3-Statement zur Lage im Nahen Osten’, auswaertiges-amt.de
[22] Diplomatie.gouv.fr (22.06.2025), ‘Déclaration des porte-parole des ministères des Affaires étrangères de la France, de l’Allemagne et du Royaume-Uni sur l’Iran’, diplomatie.gouv.fr
[23] GOV.UK (22.06.2025), ‘E3 statement on Iran: 22 June 2025’, gov.uk
[24] X.com (14.06.2025), Post von @Friedrich_Merz, x.com/friedrich_merz
[25] Assemblée Nationale (17.06.2025), ‘Compte rendu de la séance plénière de l’Assemblée parlementaire franco-allemande du 16 juin 2025’, assemblee-nationale.fr
[26] Les Dernières Nouvelles d’Alsace (18.06.2025), ‘Contrôles à la frontière : une proposition parlementaire franco-allemande pour apaiser les tensions’, dna.fr
[27] Handelsblatt (10.06.2025), ‘Die deutsche Energiewende am Scheideweg’, handelsblatt.com
[28] Les Échos (17.06.2025), ‘Énergie : Paris et Berlin enterrent la hache de guerre nucléaire’, lesechos.fr
[29] Le Point (18.06.2025), ‘Nucléaire : comment Berlin a mis de l’eau dans son vin’, lepoint.fr
[30] Euractiv (19.06.2025), ‘Franco-German energy deal focuses on future tech, bypasses current nuclear fleet’, euractiv.com
[31] APFA (16.06.2025), ‘Transcription de l’audition de M. Marc Ferracci et Mme Katherina Reiche’, df-pv.de/fr/
[32] Bundestag.de (17.06.2025), ‘DFPV beschließt Zentrum für digitale Innovation’, bundestag.de
[33] BMBF.de (05.06.2025), ‘Deutsch-französischer Projektaufruf zu privaten 5G-Netzen für die Industrie 4.0’, bmbf.de
[34] Economie.gouv.fr (06.06.2025), ‘Lancement d’un appel à projets franco-allemand sur l’intelligence artificielle’, economie.gouv.fr
[35] Académie Franco-Allemande pour l’Industrie du Futur (Pressemitteilung, 10.06.2025), ‘Bilan et perspectives de nos projets collaboratifs’, academie-industrie-futur.org
[36] DFH-UFA.org (13.06.2025), ‘Die Deutsch-Französische Hochschule fördert neue Forschungskooperationen’, dfh-ufa.org
[37] La Croix (17.06.2025), ‘L’Assemblée parlementaire franco-allemande, un discret mais efficace laboratoire d’idées’, la-croix.com
[38] Ministère des Armées (20.06.2025), ‘Championnats du monde militaires de judo : moisson de médailles pour la France’, defense.gouv.fr
[39] L’Équipe (26.06.2025), ‘Sèchement battus par l’Allemagne, les Bleuets s’arrêtent en demi-finale de l’Euro Espoirs’, lequipe.fr