Der Tag, an dem der Westen den Norden verlor

Jeden Tag kommt die neueste „Trumperie“[01] auf die vorangegangenen in der medialen Löwengrube und verwandelt das Oval Office in ein permanentes Reality-TV-Set, in dem Maßlosigkeit anstelle von Außenpolitik stattfinden. Man hatte sich fast schon an das Hintergrundrauschen dieses pathologischen Narzissmus gewöhnt.

Roter Teppich für den Freund Wladimir in Anchorage und Einreiseverbot für Thierry Breton in die USA!

Doch diese Woche bleibt uns das Lachen im Halse stecken. Zwischen der Demütigung Europas durch die Verbannung von Thierry Breton und dieser neuen räuberischen Offensive gegen Dänemark hat die Laune ihren Charakter verändert. Es handelt sich nicht mehr um bloße Wut-Tweets, sondern um einen regelrechten Angriff auf die Grundlagen unserer kollektiven Sicherheit. Indem Donald Trump einen historischen Verbündeten wie ein Immobilienobjekt behandelt und die europäische Solidarität mit Füßen tritt, will er nicht mehr nur die Galerie beeindrucken: Er hat, bewusst oder unbewusst, den Countdown für das Atlantische Bündnis gestartet.

Es sei denn, man muss die Ursache für diesen Furor woanders suchen, in den Abwässern der amerikanischen Innenpolitik. Während der Epstein-Skandal wieder hochkocht und den Mann einholt,[02] der zehn Jahre lang sein „bester Freund“ war, wirkt dieser diplomatische Krieg gegen Europa verdammt nach einer Nebelkerze. Muss man darin einen verzweifelten Versuch sehen, von den Vergewaltigungsvorwürfen abzulenken, die nun auf ihm lasten? Bei Trump ist die Geopolitik oft nur die Magd seines juristischen Überlebens.

Dämmerung der Alliierten: Grönland als Grab der NATO

Bousole cassée - Groenland - Illustration © Europea-Security
Für Trump ist Geopolitik nur eine Erweiterung des Immobilienmarktes – Illustration © European-Security

Mit der Ernennung von Jeff Landry, dem Gouverneur von Louisiana, zum „Sonderbeauftragten“ mit dem ausdrücklichen Auftrag, Grönland in die Vereinigten Staaten zu integrieren, überschreitet Trump den Rubikon.

1. Die Kunst des (schlechten) Deals: Von Louisiana nach Grönland

Die Offensive ist kein Scherz mehr. Indem Trump Jeff Landry, den Gouverneur von Louisiana, zum „Sondergesandten“ mit dem expliziten Mandat ernennt, Grönland in die USA zu integrieren, überschreitet er den Rubikon. Die Symbolik ist schwerwiegend: Er schickt den Gouverneur eines einst von Frankreich gekauften Gebiets, um den Kauf eines dänischen Gebiets zu verhandeln, und startet damit eine regelrechte feindliche Übernahme im ewigen Eis.

Angesichts dieses Manövers herrscht Kakophonie. Sicher, die europäische Solidarität drückt sich auf dem Papier aus: Emmanuel Macron und Jean-Noël Barrot haben ihre Unterstützung für die dänische Integrität bekräftigt, und Ursula von der Leyen erinnerte an die Prinzipien des Völkerrechts. Doch dieser Schutzschild aus Worten verdeckt nur schlecht eine besorgniserregende Lähmung. Die Haltung von Mark Rutte, dem NATO-Generalsekretär, ist verräterisch: Indem er erklärt, er wolle „die NATO da nicht hineinziehen“, validiert er implizit die Situation. Dieses betretene Schweigen zeigt die Grenzen des Bündnisses angesichts eines internen Konflikts: Die NATO weiß nicht, wie sie reagieren soll, wenn der Wolf gleichzeitig der Hirte ist. Die Solidarität endet nun dort, wo die amerikanischen Immobilieninteressen beginnen.

2. Die wahren Gründe: Die wiederauferstandene „Manifest Destiny“

Das offizielle Argument – die „nationale Sicherheit“ gegenüber Russland und China – ist ein Täuschungsmanöver. Mit der Basis Pituffik (Thule), die seit 1951 aktiv ist, und den bestehenden Verteidigungsabkommen besitzen die USA bereits den absoluten militärischen Riegel für die Arktis. Die Beweggründe sind weitaus prosaischer. Für Donald Trump ist Geopolitik nur eine Erweiterung des New Yorker Immobilienmarktes. Grönland wird nicht als souveränes Territorium wahrgenommen, sondern als unterbewertetes „Asset“, reich an Seltenen Erden. Es ist die brutale Rückkehr der „Manifest Destiny“: territorialer Expansionismus als einziger Marker für Macht.

3. Das eisige Geschenk: Wie Trump die Arktis seinen Rivalen serviert

Die Tragödie ist, dass diese imperiale Vision seinen Rivalen einen Boulevard eröffnet. Es ist ein strategischer „Todeskuss“. Indem er das westliche Lager spaltet und seine nordischen Verbündeten demütigt, bietet Trump denjenigen, die er zu bekämpfen vorgibt, eine unverhoffte Gelegenheit.

Le baiser de la mort de Donad Trump — Illustration © European-Security
Erpressung, Verrat und schließlich der Todeskuss — Illustration © European-Security
  • Moskau jubelt: Wladimir Putin kann nun auf den amerikanischen Imperialismus zeigen, um seine eigene Militarisierung der Arktis zu rechtfertigen. Sein Narrativ ist fertig: Die NATO ist kein Verteidigungsbündnis, sondern eine räuberische Struktur. Russland nutzt dies, um die GIUK-Lücke (Grönland-Island-UK) zu testen, die durch unsere Zwietracht geschwächt ist.
  • Peking als „Weißer Ritter“: Xi Jinping spielt ein subtileres Spiel. China kann seine wirtschaftlichen Bauern in Nuuk vorrücken, indem es sich als einziger Partner präsentiert, der die lokale Autonomie „respektiert“, und so das Vakuum füllt, das die sich zerfleischenden Westler hinterlassen.

Das Timing dieser Offensive ist übrigens verstörend, um nicht zu sagen verdächtig. Sie erfolgt genau zu dem Zeitpunkt, als der US-Senat über verstärkte Mittel zur Sicherung des Hohen Nordens debattierte. Indem Trump plötzlich diese skandinavischen Nationen ins Visier nimmt – Integrationsmodelle und die beständigsten Unterstützer der Ukraine –, sabotiert er die Strategie seines eigenen Lagers. Wie kann man nicht vermuten, dass im Weißen Haus erneut „russische Magie“ am Werk ist, die versucht, Kiew die Mittel zu entziehen, indem sie dessen treueste Paten im kritischsten Moment destabilisiert?[03]

4. Das nordische Paradoxon: Was Amerika schuf, zerstört Amerika

Hier wird die Geschichte ironisch. 1949 schlug Schweden eine neutrale „Skandinavische Verteidigungsunion“ vor. Dieses Projekt wurde von den USA torpediert, die verlangten, dass Norwegen und Dänemark der NATO beitreten. Heute, 75 Jahre später, erschafft Trumps Amerika unfreiwillig das neu, was es verhindert hatte. Angesichts der Unberechenbarkeit ihres „Beschützers“ zementieren die nordischen Länder den „Wikinger-Block“. Dank NORDEFCO und der Integration ihrer Luftstreitkräfte (2023) bauen sie einen autonomen Wall. Dieser Nordwall, ursprünglich gegen Russland konzipiert, muss nun auch als politischer Schutzschild gegen die Raubzüge des amerikanischen Verbündeten dienen.

Um den Ernst der Lage zu verstehen, muss man nach Nuuk blicken. Die Wahlen im vergangenen März in Grönland waren nicht nur eine lokale Abstimmung, sondern das Überlebensvotum eines Volkes gegenüber einem Imperium, das kein Verbündeter mehr sein will, sondern ein Eigentümer.

5. Die mögliche Antwort: Das Regieren der alliierten Ungewissheit

Wie Jérôme Denariez treffend bemerkt, « ist das eigentliche Thema nicht so sehr das Territorium als vielmehr die schwindelerregende Situation, in der der Verbündete zum primären Unsicherheitsfaktor wird

Über den Fall Grönlands hinaus wirft diese Krise eine beispiellose existenzielle Frage für die Kanzleien auf: Wie kann man regieren, wenn das systemische Risiko nicht mehr vom Feind, sondern vom verbündeten Lager ausgeht? Artikel 5 schützt vor Angriffen von außen, aber kein Vertrag sieht vor, wie mit einem Beschützer umzugehen ist, der zum Raubtier geworden ist. Angesichts dieser auf die Geopolitik übertragenen „feindlichen Übernahme” sind militärische Hebel wirkungslos. Um diese radikale Unsicherheit aus dem Inneren zu überstehen, bleibt den Europäern nur die Asymmetrie: Recht, Wirtschaft und Narrative als Abschreckungsmittel einzusetzen. Hier können Dänemark und Grönland eine aus der Finanzwelt stammende Technik anwenden…

5.1 Die Strategie der „Giftpille”

Angesichts der Lähmung der NATO sind Dänemark und Grönland nicht machtlos. Sie können eine aus der Finanzwelt stammende Technik anwenden: die „Poison Pill“, um das Gebiet rechtlich radioaktiv und für Trump unnutbar zu machen.

Pillule empoisonnée — Illustration © European-Security
Der Tontopf gegen den Eisentopf oder wie man Grönland radioaktiv macht — Illustration © European-Security
  • Der Verfassungsriegel: Eine „dreifache Validierung“ (Lokales Parlament, lokales Referendum, dänisches Referendum) für jede Abtretung verlangen, was einen zehnjährigen juristischen Sumpf schafft.
  • Die Umweltsabotage: Gebiete mit Seltenen Erden als Weltkulturerbe oder durch strenge ökologische Normen schützen, was den Abbau für US-Firmen illegal macht.
  • Die indigene Karte: Den Inuit Circumpolar Council mobilisieren, um den Kauf als Verletzung der Rechte indigener Völker zu qualifizieren, was die Operation selbst in den USA politisch toxisch macht.

Fazit: Dämmerung der Alliierten

Der Titel dieses Artikels ist nicht nur ein Wortspiel. Der Westen verliert buchstäblich die Kontrolle über den geografischen Norden, aber er hat vor allem seinen moralischen Kompass verloren. Muss man darin einen bewussten Willen zur Zerstörung der NATO sehen? Nein, Trump will Unterwerfung, nicht Zerstörung. Aber das Ergebnis wird identisch sein. Indem er das Bündnis in diese unmögliche Situation bringt, enthüllt er, dass die europäische Solidarität rein verbal bleibt. Wenn die NATO verschwinden muss, dann nicht unter den Ketten russischer Panzer, sondern durch die Unfähigkeit der Europäer, „Nein“ zu einem Amerika zu sagen, das keine Verbündeten mehr sucht, sondern Vasallen.

Joël-François Dumont

Anmerkungen

[01] Siehe « Shérif de l’Apocalypse ou fou du tsar ? » („Sheriff der Apokalypse oder Verrückter des Zaren?” (2025-0311) – „Donald ist immer top gestylt, nicht aus Gründen der Etikette, sondern um sein von ihm selbst als legendär angesehenes Image zu unterstreichen. Man muss nur in den Shop seiner Fans gehen, um zu sehen, was er verkauft: seinen Namen.” All das hätte man wissen können, noch bevor er der 45. Präsident wurde. Man hätte nur ein paar Bücher lesen müssen: diejenigen, die er angeblich geschrieben hat, wie zum Beispiel „Die Kunst des Deals“, aber auch ein 2016 von Laure Mandeville veröffentlichtes Buch mit dem Titel „Qui est vraiment Donald Trump“ (Wer ist Donald Trump wirklich?) im Équateurs-Verlag.

[02] Siehe „Die Kloake und das Chaos: Die russische Verbindung der Epstein-Affäre“ von Françoise Thom in Desk Russie (2025-0728).

[03] Siehe „Russia’s Plan for the United States“ von Françoise Thom in Desk Russie — (2025-0329).

Siehe auch:

Hintergrundanalyse: Die Epstein-Nebelkerze

Es ist zwingend erforderlich zu erwähnen, dass diese Offensive auf Grönland kein Zufall ist: Sie dient als massive mediale Ablenkung. In den USA flammt der Epstein-Skandal wieder auf und bedroht Trump direkt. Kein Amerikaner, selbst unter seinen treuen MAGA-Anhängern, glaubt wirklich an seine Dementis: Jeder weiß, dass er über seine Beziehung zu Epstein gelogen hat („mein bester Freund seit 10 Jahren“). Angesichts dieses juristischen Pulverfasses, das ihm ins Gesicht zu explodieren droht (Vergewaltigungs-vorwürfe), muss Trump künstlich geopolitische Erdbeben erzeugen, um den Medienraum zu sättigen und die öffentliche Aufmerksamkeit abzulenken.

Der „Deep State“ im passiven Widerstand?

Eine entscheidende Frage bleibt: Wird der amerikanische Staatsapparat (Pentagon, CIA, Außenministerium) diesen Wahnsinn bis zum Ende mitmachen? Nichts ist weniger sicher. In Washington wissen die Karrieremilitärs und Diplomaten, dass die Thule-Basis zu vital ist, um geopolitisches Russisch Roulette zu spielen. Sie sind sich bewusst, dass ein Bruch mit Dänemark die amerikanische Satellitenüberwachung am Nordpol blenden würde.

Wir steuern wahrscheinlich auf einen internen Schattenkrieg zu: eine akribische administrative Sabotage. Der „Deep State“ wird wahrscheinlich versuchen, Trumps Forderungen in endlosen Machbarkeitsstudien und komplexen juristischen Kommissionen versanden zu lassen. Ihr Ziel? Zeit gewinnen, die Verbündeten über parallele Kanäle diskret beruhigen („Hört nicht auf ihn, wir halten den Laden am Laufen“) und verhindern, dass die Laune des Präsidenten ein strategisches Hauptasset in ein irreversibles diplomatisches Desaster verwandelt. Die wahre Schlacht um Grönland wird vielleicht nicht in Nuuk entschieden, sondern in den Fluren des Pentagon.