Frankreich und Deutschland bilden gemeinsam die Mannschaften des Tigers

Der neue Hubschrauber « Tiger » soll den Panzerabwehrhubschrauber Bo 105 ersetzen. Rede von Herrn Jacques Chirac, Präsident der franz. Republik, anlässlich seines Besuchs im das deutsch-französische Heeresfliegerausbildungszentrum Tiger in Le Luc en Provence (Var). Dienstag, den 19. April 2005. Quelle : Elysée Palast, Paris.

Der neue Hubschrauber « Tiger » soll den Panzerabwehrhubschrauber Bo 105 ersetzen

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Der neue Hubschrauber Tiger soll den Panzerabwehrhubschrauber Bo 105 ersetzen. Foto © Joël-François Dumont

Frau Ministerin,
Herr Staatssekretär,
Herr General,
Meine Damen und Herren!

Zunächst möchte ich meine Freude darüber zum Ausdruck bringen, hier in dieser gro²artigen deutsch-französischen Schule für die Ausbildung der Besatzungen des Hubschraubers Tiger sein zu können.

Ich möchte Oberst Salendre herzlich für seinen Empfang danken sowie allen denjenigen, die gemeinsam mit ihm zum Gelingen dieses Tages beigetragen haben und noch beitragen. Ich danke auch Staatssekretär Hans-Georg Wagner und General Bolz, dem Kommandanten der Heeresflieger, dem ich auch alles Gute zum Geburtstag wünsche. Sie haben uns die Ehre erwiesen, eigens aus Deutschland zu kommen, um die Bedeutung herauszustellen, die wir der Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich, den Motoren für den Aufbau des Europas der Verteidigung, beimessen.

Die Präsentationen von heute früh zeugen von der Originalität der Struktur und Funktionsweise dieser deutsch-französischen Schule. Als Oberbefehlshaber der Streitkräfte weiß ich das Streben nach Exzellenz, das diese Ausbildung kennzeichnet, und insbesondere den Einsatz hoch entwickelter und modernster Simulationstechniken zu schätzen.

Ich bin mir bewusst, wie wichtig die Auslieferung des neuen Hubschraubers Tiger für unser Heer ist. Denn dieses Gerät ist beispielhaft für eine Armee, die auch künftig zu den ersten in der Welt zählen will. Als erstrangiges Verteidigungsinstrument verdeutlicht der Tiger auch, was die Europäer gemeinsam zu verwirklichen vermögen, wenn es ihnen gelingt, ihre Anstrengungen zu bündeln, um eine weltweit einzigartige Perfektion zu erreichen.

Diese jungen Einrichtungen, die die Deutsch-Französische Schule zur Ausbildung der Piloten des Hubschraubers Tiger in Le Luc – Ihre Schule – sowie das Deutsch-Französische Zentrum zur Ausbildung von Technikern in Faßberg darstellen, verdeutlichen das ehrgeizige Ziel, das Deutschland und Frankreich im Bereich der Verteidigung gemeinsam verfolgen und was sie im gemeinsamen Interesse erreichen können. Sie sind zugleich ein starkes Symbol und konkreter Ausdruck unseres Willens, das europäische Aufbauwerk in allen seinen Dimensionen voranzubringen.

In der Tat, die Verteidigung ist eine der wesentlichen Dimensionen des europäischen Aufbauwerks. Europa bliebe unvollständig, wenn es nicht dem vorrangigen Streben seiner Völker gerecht werden würde, dem Streben nach Frieden und dem Streben nach Sicherheit.

  • Dieses ehrgeizige Ziel fügt sich nahtlos in das europäische Projekt ein, wie es seit über einem halben Jahrhundert verfolgt wird.

Ziel des europäischen Projekts war von Anbeginn die Sicherung des Friedens, indem es Kriege auf unserem Kontinent, in erster Linie zwischen Deutschland und Frankreich unmöglich machte.

Diese Idee lag der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der so genannten Montanunion, zugrunde, die bereits 1951 die Produktion dieser damals für die Herstellung von Kriegswaffen unentbehrlichen Rohstoffe zusammenlegte.

Es war die Idee der Gründungsväter Europas, die fest entschlossen waren, die Fatalitäten der Geschichte zu überwinden und den Kontinent auf neuen und friedlichen Grundlagen aufzubauen.

Mit der Zeit und über die Errungenschaften in den Bereichen Handel, Landwirtschaft, Industrie, Wirtschaft und Geldpolitik hinaus erlangte das europäische Projekt eine neue Dimension, eine strategische Dimension. Die Welt veränderte sich grundlegend. Die Ära des Kalten Krieges ging zu Ende. Heute sind die Bedrohungen vielfältig und verschiedenartig. Immer häufiger treten regionale Krisen auf, zwischen denen oftmals eine Wechselwirkung besteht und die sich auf weit entlegene oder unvorhergesehene Teile der Welt auswirken.

Europa hat eine natürliche Berufung, als Machtzentrum zu Frieden, Demokratie und Sicherheit der Welt beizutragen. Mithin muss sich Europa eine Außen-, aber auch eine Verteidigungspolitik geben.

Seit nunmehr knapp zwanzig Jahren setzen sich Deutschland und Frankreich gemeinsam für dieses ehrgeizige Ziel eines Europas ein, das auf der internationalen Bühne mit einer gleichen Stimme sprechen kann; eines Europas, das die militärischen Fähigkeiten besitzt, die für seine politische Glaubwürdigkeit und sein Engagement im Dienste des Friedens in Europa und auf der Welt unentbehrlich sind.
Maastricht, Amsterdam, Saint-Malo, Köln, Helsinki, gehören zu den Etappen, bei denen die Europäer dieses große Vorhaben, diese Idee eines Europas, das die Fähigkeit besitzt, seine internationalen Verpflichtungen in vollem Umfang zu erfüllen, gemeinsam voranbrachten.

Frieden und Demokratie auf unserem Kontinent für immer verankern, die Sicherheit der europäischen Völker unentwegt weiter verbessern und unserem Europa die Mittel geben, die es zur Wahrnehmung seiner Verantwortung in der Welt braucht, dies sind die Herausforderungen.

Der Frieden ist nie endgültig gesichert. Die Länder, die versucht sind, unbedacht in ihrer Wachsamkeit nachzulassen, werden früher oder später den Preis hierfür zu entrichten haben. Nur wenn Europa seine eigene Verteidigung glaubwürdig und autonom zu organisieren in der Lage ist, kann es auch künftig in Frieden leben und zum Frieden auf der Welt beitragen.

Für dieses ehrgeizige Ziel setzen wir uns entschlossen ein und konnten seit mehreren Jahren kontinuierlich Fortschritte verzeichnen. Und bereits heute haben wir gro²e Erfolge aufzuweisen.

So führte die Europäische Union 2003 ihre erste Operation in Mazedonien durch und löste hierbei die NATO ab.

In der demokratischen Republik Kongo bewies die Operation ARTEMIS, dass die Europäische Union fähig ist, in einem schwierigen Umfeld und mehrere tausend Kilometer von ihren Grenzen entfernt eigenständig dringende Einsätze zur Friedenssicherung durchzuführen.

Im Jahre 2004 löste die Europäische Union die NATO in Bosnien-Herzegowina ab. Auch heute führt die Union Missionen für den Frieden oder den Rechtsstaat durch, vom Westlichen Balkan bis nach Georgien oder dem Kongo

  • Parallel zu diesen Einsätzen arbeitet die Europäische Union an der weiteren Stärkung ihrer Verteidigungsstrukturen und instrumente.

Der Militärstab der Europäischen Union wird gestärkt und schrittweise mit einem Operationszentrum ausgestattet, das Einsätze zum Krisenmanagement des Typs ARTEMIS autonom führen kann.

Damit die Union eine eigene Lagebeurteilung vorzunehmen imstande ist, was eine unabdingbare Voraussetzung für ihre Glaubwürdigkeit bei der Bewältigung internationaler Krisen darstellt, setzen wir im Verbund mit unseren spanischen, italienischen, belgischen, griechischen und deutschen Kollegen Erdbeobachtungssatelliten ein.

Die Europäischen Gefechtsverbände, die BG 1 500, an denen Sie sich beteiligen – sind nunmehr operationell. Mit ihnen verfügt die Europäische Union über eine schnelle militärische Krisenreaktionsfähigkeit, um überall in der Welt unter UNO-Mandat intervenieren zu können.

Auf Vorschlag Frankreichs kann Europa nunmehr auch eine Gendarmerie-Einheit mobilisieren, deren Hauptquartier im italienischen Vicenza eingerichtet wurde. Künftig kann diese Europäische Gendarmerie bei Beendigung von Krisensituationen eingesetzt werden, um die Militärinterventionen abzulösen.

Zur Optimierung unserer Militärausgaben arbeiten Ingenieure und Militärs im Rahmen der Europäischen Rüstungsagentur gemeinsam an der Entwicklung unserer künftigen Verteidigungsausrüstungen. Auf diese Weise werden wir unsere Forschungsanstrengungen, unsere Entwicklungsanstrengungen schrittweise aufwerten können, weil wir sie gemeinsam unternehmen.

Eingerichtet wurde auch ein Europäisches Kolleg für Sicherheit und Verteidigung, das eine originelle Struktur aufweist. Offiziere aus verschiedenen Ländern schaffen dort die Grundlagen für die Herausbildung eines echten europäischen Geistes der Verteidigung.

Nach diesen ersten Erfolgen müssen wir konsequent und entschlossen an der weiteren Schaffung der Instrumente arbeiten, die für die Verteidigungspolitik der Union unerlässlich sind. Neue Fortschritte liegen vor uns.

Im letzten Jahr konnte ich mich bei meinem Besuch in der französisch-belgischen Pilotenschule auf dem Luftwaffenstützpunkt Cazaux von der Motivation Ihrer Kameraden von der Luftwaffe überzeugen; diese Schule ist die erste Etappe eines künftigen Ausbildungsnetzes für alle europäischen Kampfpiloten.

Ich mache mir heute, hier in Le Luc, eine Vorstellung von Ihrer Motivation, wo ich die enge Gemeinschaft zwischen deutschen Soldaten und französischen Soldaten bei der Ausbildung der Tiger-Piloten feststelle.

Diese Initiativen, die selbstverständlich allen unseren Partnern offen stehen, fördern die Annäherung der europäischen Verteidigungs­instrumente und sind somit die Gewähr für Effizienz. Es ist mein Wunsch, dass wir bei der gemeinsamen Ausbildung unserer Soldaten noch weitergehen. Dies ist ein vielversprechender Weg, der systematisch erkundet werden muss. Auch so wird Demokratie und Friedens auf unserem Kontinent gefestigt.

Diesen Weg der Zusammenarbeit müssen wir auch konsequent weiter beschreiten, damit wir den Bedarf der europäischen Streitkräfte an militärischer Ausrüstung decken können. Dies muss uns in die Lage versetzen, die Finanzressourcen, die unsere Nationen für die Verteidigung bereitstellen, bestmöglich zu nutzen.

Der gemeinsam von Deutschland, Spanien und Frankreich entwickelte Hubschrauber Tiger ist ein gutes Beispiel dafür, was wir machen können und was wir machen sollen. Ein Beispiel für Exzellenz in der Welt. Unsere Streitkräfte werden zunehmend mit gemeinsamen Geräten ausgerüstet. Morgen wird dies der Fall sein mit den militärischen Transportflugzeugen Airbus A 400M, den von vier europäischen Ländern gebauten Transporthubschraubern NH 90 und den europäischen Fregatten für Mehrfachmissionen, die das Ergebnis einer französisch-italienischen Kooperation sind. Aus diesem Grunde habe ich auch grundsätzlich die Entscheidung getroffen, beim Bau des zweiten französischen Flugzeugträgers sehr eng mit unseren britischen Freunden zusammenzuarbeiten.

Bei allen diesen Geräten müssen wir bereits heute darüber nachdenken, wie wir bei der Ausbildung der Besatzungen, der Wartung und der Logistik zusammenarbeiten können. Denn dies ist der Weg der Zukunft.

  • Zahlreiche Baustellen sind eröffnet. Sie müssen nunmehr zum Abschluss gebracht werden. Das Europa der Verteidigung muss gefestigt und vertieft werden.

Der Verfassungsvertrag bekräftigt das Streben eines gemeinsamen Vorhabens nach Frieden und Sicherheit. Er besiegelt die Ansichten, die Frankreich und Deutschland, denen sich Gro²britannien und in der Folge die anderen anschlossen, seit vielen Jahren vertreten haben. Dieser Verfassungsvertrag wird das Fundament für das Europa der Verteidigung sein und neue Impulse auf diesem Gebiet ermöglichen.

Die Verfassung bringt entscheidende Fortschritte für die Verteidigung.

Da Europa nunmehr eine Schicksalsgemeinschaft bildet, ist in diesem Vertrag erstmals der Grundsatz der Solidarität und des gegenseitigen Beistands zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union festgeschrieben. Das bedeutet, dass im Falle eines bewaffneten Angriffs nach der Ratifizierung der Verfassung die Staaten der Union zum gegenseitigen Beistand verpflichtet sind. Selbstverständlich stehen diese Verpflichtungen im Einklang mit denjenigen, die seit fünfzig Jahren für die Nordatlantische Allianz gelten, das Bündnis, das die Grundlage unserer kollektiven Verteidigung bleibt.

Um die Folgen eines Terroranschlags, der leider jederzeit möglich ist, oder einer Katastrophe natürlichen oder industriellen Ursprungs bewältigen zu können, ermöglicht die Solidaritätsklausel, die in der Verfassung vorgesehen ist, die Mobilisierung aller angemessenen Mittel, egal ob zivile oder militärische Mittel. Diese Klausel wird die Sicherheit unserer Bevölkerungen verbessern und ein sehr wirksames Instrument zur Abwendung terroristischer Bedrohungen darstellen.

Der Verfassungsvertrag wird zudem den besonders motivierten Staaten – wie Deutschland, Frankreich und ihren Partnern des Eurokorps – die Möglichkeit bieten, sich im Rahmen der Europäischen Union zusammenzuschließen, um beim Aufbau eines Europas der Verteidigung weiter und rascher voranzukommen.

Das ist der Sinn der « strukturierten Zusammenarbeit », die jenen Staaten offen steht, die sich zur Teilnahme an den wichtigsten europäischen Programmen für militärische Ausrüstungen sowie zur sofortigen Bereitstellung von Streitkräften für die Union verpflichten.

Die Verfassung sieht schließlich vor, dass das Hauptziel der vor kurzem erst eingerichteten Europäischen Verteidigungsagentur die Stärkung der industriellen und technologischen Basis der europäischen Verteidigungsindustrie und die Definition einer echten europäischen Rüstungspolitik, das heißt unserer strategischen Autonomie und unserer Unabhängigkeit, ist.

In vielerlei Hinsicht ist dies von grundlegender Bedeutung. Denn es gilt nicht nur, die Mittel, die wir für die Ausrüstung unserer Streitkräfte bereitstellen, bestmöglich zu nutzen; wir müssen auch unsere Spitzenposition bei den technologischen Fortschritten im militärischen Bereich behaupten.

Es ist auch ein Faktor der Dynamik für unsere Volkswirtschaften als Ganzes, da – wie jeder weiß – von den Verteidigungsindustrien sehr wichtige Impulse ausgehen: Sie stimulieren die Forschung und technologische Entwicklung und schaffen in unseren Ländern Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung, die der internationalen Konkurrenz der Billiglohnländer mithin viel weniger ausgesetzt sind.

-Indem wir das Europa der Verteidigung voranbringen, verbessern wir die Sicherheit aller Franzosen, aller Europäer und bleiben dem Auftrag Frankreichs treu, im Dienste des Friedens, der Demokratie und der Stabilität weltweit zu handeln. Indem wir unsere Kräfte unseren europäischen Partner bündeln, können wir zum Wohle unseres Landes, unseres Kontinents und der ganzen Welt auf der internationalen Bühne im Dienste der universellen Werte, die uns verbinden und unser Ideal sind, an Gewicht gewinnen.

Dies alles stellt für Sie neue Herausforderungen dar, aber auch neue ehrgeizige Ziele, die neue Erfolge versprechen. In diesem Kontext üben Sie bereits heute Ihren wichtigen und schönen Soldatenberuf aus und werden dies vor allem auch künftig tun.

In dieser Hinsicht erwarte ich von jedem von Ihnen nicht nur Initiativgeist und Einfallsreichtum, sondern auch Engagement und Enthusiasmus, die unabdingbar sind, um noch weiter vorankommen zu können.

Neben meinem Vertrauen möchte ich Ihnen meine Anerkennung, meine Wertschätzung und meine freundschaftliche Verbundenheit bekunden.

Ich danke Ihnen.